In der Redaktion angekommen, bat er darum, diese Äußerung nur anonym abzudrucken, seine Frau habe Angst vor Racheaktionen. Ich musste ihm sagen, dass seine Meinungsäußerung anonym für die Zeitung wertlos wäre. Mir blieb nur, darauf zu verzichten. Mitunter erlebte ich auch, wie ein Gesprächspartner, der bereitwillig auf eine Frage geantwortet hatte, plötzlich blockierte, wenn ich dann seinen Namen wissen wollte. Wollen Sie das etwa veröffentlichen? Ja, wozu sollte ich denn sonst als Redakteur das Gespräch geführt haben? Verweigerte der Partner dann die Auskunft, so handelte es sich um vergeudete Zeit.
Es kam auch vor, dass jemand, mit dem tags zuvor ein Gesprächstermin vereinbart worden war, dem Redakteur bei dessen Ankunft mit der Mitteilung überraschte, „ich habe es mir nun anders überlegt und will dazu nichts sagen.“
Solche Erlebnisse waren denkbar unangenehm, hatte der Redakteur doch seine Seite zu füllen, fiel ein Termin flach, war es sein Problem für ein Ersatzthema zu sorgen. Ich erinnere mich noch, wie mich eine Frau in Lindow mal bei einem vereinbarten Gesprächstermin abblitzen ließ, als ich vor ihrer Tür stand. Als ich meinen Unmut darüber nicht verbergen konnte, fragte sie „Ja, müssen Sie denn jeden Tag einen Artikel schreiben?“ Nein, ich musste jeden Tag eine Zeitungsseite füllen. Zwei Artikel pro Tag waren das Minimum. Meistens schrieb ich drei oder vier Artikel pro Tag. Die Grenze lag bei fünf. Mehr war einfach nicht drin, denn man konnte es einem Gesprächspartner nicht zumuten, ihm nach 20 Uhr noch mit Fragen auf den Leib zu rücken. Einmal fragte mich Siegfried Naumann aus Wildberg wie ich es eigentlich schaffen würde, so viel zu schreiben. Das frage ich mich im Rückblick heute manchmal selbst. Aber wie heißt es so schön: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.
Natürlich schuf sich jeder Redakteur im Laufe der Jahre ein kleines Netzwerk an Informanten. Es kamen immer wieder mal auch Tipps von freundlichen Bekannten. Gern und mit Dankbarkeit erinnere ich mich an Frau Busse, die ehemalige Leiterin der Tourist-Information Lindow. Ihr verdanke ich, der ich ständig auf Themensuche war, manchen Tipp. In dem kleinen Amtsbereich mit gerade einmal 5000 Einwohnern, wusste ich diese Unterstützung sehr zu schätzen.
Doch der Beruf hatte nicht nur seine harten, sondern auch seine schönen Seiten. Ich konnte mir nicht vorstellen, an einer Maschine zu stehen und jeden Tag die gleichen Handgriffe auszuführen. Für einen Journalisten gab es täglich etwas zu erleben oder zu lernen. Vielleicht am wichtigsten waren die Begegnungen mit beeindruckenden Menschen. So schrieb ich über einen Mann, der 1947 von einem sowjetischen Militärgericht zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war. Nach fünf Jahren kam er dann durch eine DDR-Amnestie frei. Ich lernte auch einen Mann kennen, der 1960 als Mitglied der sogenannten "Glatzkopfbande“ in einem Schauprozess vom Bezirksgericht Rostock verurteilt worden war.
Einmal verbrachte ich zwei Stunden mit dem Fischer von Lindow in einem Kahn auf dem Gudelacksee. Während der Fischer über seinen Beruf erzählte, machte ich mir im schwankenden Kahn Notizen für meine Reportage. Manchmal ergaben sich spannende Themen per Zufall. So kam ich einmal darauf zu, wie in Lindow ein Pferd beschlagen wurde. Ich ergriff die Gelegenheit und befragte den Hufschmied zu den Anforderungen seines aussterbenden Berufes. Immer wieder gern war ich auch mit Förstern unterwegs. Sie hatten so viel Interessantes zu erzählen über den Wald, seine Tier- und Pflanzenwelt, über die Folgen und Konsequenzen klimatischer Veränderungen.
Mit Leidenschaft und Freude habe ich Porträts geschrieben. Es war so spannend den Leuten zuzuhören, wenn sie ihre Lebensgeschichten erzählten, selbst, wenn diese von Krieg, Gefangenschaft, Flucht oder Vertreibung handelten. Ich fand es mitunter erstaunlich, wie auch die Biografien ganz einfacher Menschen hochinteressante Erlebnisse enthielten, die nicht selten Zeitgeschichte spiegelten. Kurzum, ich hatte einen interessanten Beruf in dem vieles vorkam, aber keine Langeweile.
Reinhard Düsterhöft