35 Jahre Meine Zeitung

Ruppiner Anzeiger: Bloß keinen Stau

Mit einer klaren Vorstellung wurde das Projekt Zeitung in Neuruppin aus der Taufe gehoben. Der Ruppiner Anzeiger ging als Wochenzeitung an den Start.

"Das stinkt zum Himmel“ lautete die Schlagzeile in der Ruppiner Anzeiger Wochenzeitung-Nr.8. Durch Hinweise aus der Bevölkerung wurde Redakteur Reinhold Dzienian (2 vgl. ) darauf aufmerksam, das der Schlachthof Neuruppin seine nicht verwertbaren Abfälle, das waren Schweineborsten und Panseninhalte, auf einem Feldstück der damaligen LPG Kränzlin nahe der Autobahn, verkippten. Ein riesiger Fliegenschwarm ließen den Platz mit verwesenden Fleischresten und stinkende Pfützen leicht finden.

27.02.2025

Der Ruppiner Anzeiger ist ein Kind der Wende. Am 4. April 1990 hoben ihn drei Wende-Aktivisten in Neuruppin aus der Taufe - zunächst als Wochenzeitung. Als Idee stand dahinter eine unabhängige Informationsquelle für die Leser in der Region zu erschließen. Bis zur Wende dominierten die SED-Bezirkszeitungen das Informationsangebot in Ostdeutschland. Diese Zeitungen hatten jedoch den Auftrag zur parteilichen Berichterstattung, hieß praktisch, sie sollten die Politik der SED journalistisch unterstützen. Es ging also vordergründig um Propaganda, nicht um Information oder gar um eine kritische Begleitung der Tagespolitik. Weil die Bezirkszeitungen jedoch einen Lokalteil führten, waren sie für große Teile der Bevölkerung unverzichtbar. 

Mit der unabhängigen Wochenzeitung in Neuruppin sollte das Info-Monopol der SED bei Zeitungen in der Region durchbrochen werden. Aber sehr rasch zeigte sich, dass es eine wahre Herkulesaufgabe war, eine Zeitung zu produzieren und zu vertreiben.

Wir können uns vorstellen, dass die Herausgeber - an erster Stelle wäre hier Dr. Heinz Nürnberg zu nennen - es begrüßten, als der Ippen-Verlag aus Hamm in Westfalen Interesse zeigte, sich bei dem Wende-Blatt einzubringen. Ippen war das viertgrößte Verlagshaus im Altbundesgebiet und gab eine ganze Reihe von Regional- und Lokalzeitungen heraus, verfügte somit über einen reichen Erfahrungsschatz in diesem Marktsegment. Mit dem Einstieg des Ippen-Verlages war die Entscheidung verbunden, den Ruppiner Anzeiger als Tageszeitung herauszubringen. Nachdem es 36 Ausgaben als Wochenblatt gegeben hatte, ging der RA im Dezember 1990 als Tageszeitung an den Start. Der Altkreis Neuruppin war damit eine der ersten Regionen in Ostdeutschland, in der die Leser zwischen zwei Tageszeitungen wählen konnten, denn die gewendete ehemalige SED-Zeitung existierte weiter und bot ebenfalls lokale Infos an. Für die Zeitungsmacher hieß das sie mussten sich der Konkurrenz eines Wettbewerbers auf dem Markt stellen. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Verbraucherzeitung „Märker“. 

Aller Anfang ist schwer. Während sich der Wettbewerber auf etablierte Strukturen stützen konnte, betrat der RA in jeder Beziehung Neuland. Die Redaktion bezog ihr Domizil im Parterre eines Eckgebäudes in der Schinkelstraße/August-Bebel-Straße. Dort saßen die Redakteure an PCs, die schon in den Redaktionen des Ippen-Verlages einige Jahre gedient hatten. Die Vorgabe für die Redakteure lautete, eine Zeitungsseite pro Tag zu produzieren. Wohlgemerkt, es gab keinen Fernschreiber, über den Nachrichten von Agenturen einliefen, die nur noch redigiert zu werden brauchten. 

Von einigen Leserbriefen und ein paar Polizeimeldungen abgesehen, musste jeder Text, ob Artikel, Meldung oder Kommentar vom Redakteur selbst geschrieben werden. Auch um die Bilder hatte sich der Seitenmacher zu kümmern. In den Anfangszeiten wurden die Artikel wie sich Holger Rudolph, ein Zeitungsmacher der ersten Stunde, erinnert, noch auf Diskette gespeichert. Die Disketten wurden mit dem Auto nach Oranienburg gebracht werden. Dort befand sich die Mantel-Redaktion, denn der Ruppiner Anzeiger war Bestandteil des Märkischen Medienhauses, das auch den Oranienburger Generalanzeiger und die Gransee-Zeitung herausbrachte. Der Transport sollte laut Rudolph möglichst nicht über die Autobahn erfolgen, denn wer dort in einen Stau geriet, hatte keine Chance mehr, die gespeicherten Artikel rechtzeitig im Mutterhaus abzuliefern. Und das war nicht das einzige Handicap. Rudolph: „Der heiße Draht zum RA hieß lange 3053. Es war der einzige in die Ruppiner Redaktion. Eine Leitung und viel zu oft vier oder fünf Leute, die gleichzeitig anrufen wollten.“

Als der Autor dieser Zeilen 1996 beim RA anfing, gab es in der Redaktion nur einen Computer an dem die Seiten zusammengebaut werden konnten, den sogenannten Pagemaker. Jeder Redakteur bekam darum einen knappen Zeitraum zugewiesen, in dem er das Gerät nutzen konnte. 

Als die Redaktion am 4. April 1997 in das Gebäude in der Karl-Marx-Straße 48 umzog, wurde ein neues Kapitel in der Geschichte des Ruppiner Anzeigers aufgeschlagen. Nun konnten RA und auch der Märker in ein saniertes Gebäude umziehen, das erheblich mehr Platz bot. Der Einzug hatte sich erheblich verzögert, weil sich beim Umbau herausstellte, dass das ehemalige Bankgebäude weitaus sanierungsbedürftiger war, als zunächst vermutet. Dabei musste die historische Hülle des Hauses erhalten bleiben, denn es stand unter Denkmalschutz. Generalunternehmer war die Neuruppiner Bau GmbH, die hier eine gute Visitenkarte abgab. Nun konnten Geschäftsstelle und Redaktion endlich in Räume einziehen, die den Mitarbeitern ausreichend Platz boten. Im Erdgeschoss richtete sich die Geschäftsstelle ein. Die Redaktion bezog Räume im ersten Stockwerk. Dort gab es einen Großraum für die Redakteure, einen weiteren Raum, eine kleine Küche und Toiletten. Eine Treppe höher, kamen das Ressort Sport und die Märker-Macher unter. Nun hatte endlich jeder Redakteur sein eigenes Telefon. Die Gesamtredaktion strukturierte sich in eine Stadtredaktion mit zwei bis drei Redakteuren beziehungsweise Volontären und jeweils einem Redakteur, der für die Bereiche Kreis, Rheinsberg, Lindow und Fehrbellin/ Temnitz zuständig war. Hinzu kamen die Sportabteilung und ein Fotograf.

Unternehmen aus der Region

Die lokale Berichterstattung bildete das Rückgrat der Zeitung. Den Sonntagsdienst, bei dem die Montags-Ausgabe mit sieben oder acht Seiten produziert wurde, stemmten ein Redakteur und ein Volontär gemeinsam mit freien Mitarbeitern. Diese Helfer waren junge Gymnasiasten mit Lust am und Mut zum Schreiben, die am Wochenende auf Termine (vornehmlich Kulturveranstaltungen) geschickt wurden und die dann sonntags in die Redaktion kamen, um ihren Artikel in den Computer zu hämmern. Einige dieser „Freien“, die auf Honorarbasis arbeiteten, zeigten sich im Laufe der Zeit recht talentiert. Leider standen sie der Redaktion nur begrenzte Zeit zur Verfügung, denn nach dem Abitur verließen sie Neuruppin, um an einer Hochschule zu studieren. Immer Verlass war für RA und Märker auch auf „Ecki“, unseren Fotografen Eckhard Handke aus Neuruppin. Er dokumentierte mit seinen Bildern unzählige Ereignisse im kulturellen, sportlichen, politischen und wirtschaftlichem Leben der Fontanestadt. Nicht selten riefen Leser an, weil sie von Herrn Handke ein Bild haben wollten, dass dieser bei einer Veranstaltung oder einfach als Gelegenheitsschnappschuss von ihnen oder den Kindern beziehungsweise Enkeln „geschossen“ hatte. 

Unternehmen aus der Region

Besondere Erwähnung verdient auch der Sport, der am Wochenende ohnehin immer seinen „Großkampftag“ hatte, waren doch viele Spielberichte ins Blatt zu bringen. Matthias Haak, Gunnar Reblin, Mike Schläger, Mario Warminski, Sina Brigzinsky, Marcus Gansewig und Stephan Ellfeldt füllten über die Jahre hinweg die Ruppi-Seiten mit Berichten zum Heimatsport. Oft saßen sie am Sonntag bis gegen 22 Uhr vor dem PC, um so viele Berichte wie möglich ins Blatt zu bringen, denn für eine Heimatzeitung gilt das Prinzip möglichst viel an Information in der Ausgabe unterzubringen. Je mehr Leser etwas finden, dass sie interessiert, desto sicherer ist auch die Zukunft der Zeitung.

Der „Ruppi“, wie unsere Zeitung oft liebevoll von Lesern und Mitarbeitern genannt wurde, entwickelte sich zu einer lokalen Institution. Er begleitete die Entscheidungen auf kommunalpolitischer Ebene, berichtete über neue Projekte, griff Kritiken der Bürger auf und informierte über außergewöhnliche Ereignisse. Natürlich wurde auch über Einsätze von Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst berichtet. Eine Rubrik schlossen unsere Leser dabei besonders in ihr Herz - den Ruppi-Spatz. Diese Lokalspitze hatte nicht zufällig den Spatz zu ihrem Wahrzeichen erkoren. Frech, wie der kleine Namensgeber, so sollte auch diese Rubrik alles vom Dach pfeifen, was Leute beschäftigte und bewegte, sollte aussprechen, worüber sie sich ärgerten, sollte aber auch Menschen loben, die sich sei es durch ehrenamtliches Engagement, sei es durch Hilfsbereitschaft oder einfach durch eine gute Tat verdient hatten.
Das sahen die Blattmacher auch als ihren ideellen Auftrag an: Die Welt ein bisschen besser zu machen und sei es auch nur für einen Moment.