35 Jahre Märkische Oderzeitung

Leserbriefe als Seismograph der Region

Rückblick: Wie eine ZDF-Reportage und die MOZ-Leserseite Frankfurt (Oder) politisierte.

MOZ-Empfang für die Leserinnen und Leser vor zehn Jahren. Foto: Sammlung Kotterba

19.07.2025

Die Leserbriefseite der Märkischen Oderzeitung (MOZ) war stets mehr als eine Meinungsrubrik. Sie spiegelte gerade Ende der 1990er und in den 2000er Jahren das öffentliche Echo der Region wider - mal wütend, mal besorgt, mal kämpferisch. Leserbriefe konnten Entscheidungen beeinflussen, Debatten anstoßen - und sogar nationale Medien unter Druck setzen.

Ein aufsehenerregender Fall war der ZDF-Beitrag des Politmagazins Frontal vom 9. November 1999 über Frankfurt (Oder). Die Sendung sollte zum Mauerfall-Jubiläum eine Bilanz ziehen: Was wurde aus den Milliarden, die seit der Wende in den Osten geflossen sind? Doch viele Frankfurter sahen darin ein verzerrtes Bild: marode Häuser, Glatzen auf dem Bolzplatz, spöttische Begriffe wie „Wagenburg der Wessis“. Die MOZ reagierte mit der Schlagzeile „Eine Region wehrt sich gegen Manipulation“ und veröffentlichte tagelang empörte Zuschriften - etwa „Positives wurde verschwiegen“ oder „Ade seriöser Journalismus“.

Zentrum der Empörung war ein Seniorenchor der Volkssolidarität, der in der Sendung die DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ sang. Für viele Zuschauer war das ein sentimentaler Rückgriff auf untergegangene Ideale. Doch die Chorleiterin widersprach öffentlich: Man habe sie geradezu gebeten, etwas von früher zu singen“ die Hymne wurde ausdrücklich vom Fernsehteam verlangt. Das ZDF behauptete hingegen, der Chor habe„freiwillig und mehrfach mit Begeisterung“ gesungen. Die Debatte um Inszenierung und Wahrheit schlug Wellen. „Die haben uns zum Singen angestiftet“, zitierte die MOZ.

Viele fühlten sich getäuscht und sprachen von medialer Entmündigung. Der Fall hatte juristische Folgen: Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen den Autor wegen übler Nachrede ein nach Strafanzeige der Chorleiterin. So wurde auch die Justiz Teil einer Debatte, die auf der Leserbriefseite begann und bundesweit diskutiert wurde. Am 23. November 1999 organisierte MOZ-Chefredakteur Franz Kadell eine öffentliche Diskussion in der Frankfurter Konzerthalle. Auf dem Podium saßen ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser, Autor Udo Frank, Brandenburgs Innenminister und Bildungsminister Jörg Schönbohm (CDU) und Steffen Reiche (SPD), Oberbürgermeister Wolfgang Pohl (SPD) und der evangelische Generalsuperintendent Rolf Wischnath als Moderator. Rund 1000 Bürger machten ihrem Ärger Luft, pfiffen Bresser und Frank mehrfach aus. Schönbohm warf dem Beitrag das Niveau von Eduard von Schnitzlers „Schwarzem Kanal“ vor, während Wischnath betonte: „Eduard von Schnitzler wäre nicht hierher gekommen, um sich seinen Kritikern zu stellen.“

Unternehmen aus der Region

Auch abseits dieses Aufruhrs zeigte sich die Kraft der Lesermeinungen. 1999 beschwerte sich ein Strausberger über gestrichene Busverbindungen - kurz darauf reagierte die Verkehrsgesellschaft. Ein Küstriner wandte sich 2001 gegen die geplante Bahnhofsmodernisierung:

„Wer denkt an die Geschichte? Nicht jeder Fortschritt beginnt mit Beton.“ Und ein Leser äußerte 2003 seine Kritik am Irak-Krieg: „Die Entscheidung der USA, ohne UN-Mandat in den Irak einzumarschieren, ist ein schwerer Fehler. Mehr Diplomatie ist nötig.“ Solche Zuschriften verbanden persönliche Erfahrungen mit grundsätzlichen Fragen zur Vergangenheit, Gegenwart und der Verantwortung des Staates. 

Diese Briefe waren nicht bloß Meinungsäußerungen, sondern Ausdruck von Identität und politischem Selbstverständnis. Die Redaktion griff vieles auf, kuratierte und recherchierte weiter - Leserzuschriften wurden als Teil einer redaktionellen Gesamtleistung betrachtet. Die MOZ brachte Politik, Medien und Bürger an einen Tisch- und eine Stadt in einen Dialog mit dem Fernsehen. Die Konzerthalle war voll, das Echo groß nicht nur lokal, sondern bundesweit. So zeigte sich: Leserbriefe waren in dieser Zeit weit mehr als Randnotizen. Sie waren und sind Rückgrat der Zeitung, Kompass der Öffentlichkeit - und manchmal ein wirkungsvolles politisches Instrument. In Frankfurt (Oder) wurden aus Stimmen Briefe, aus Briefen Debatten und aus Debatten Veränderung.

Unternehmen aus der Region

Liebe Leserinnen und Leser

Die MOZ feiert in diesem Jahr ihren 35. Geburtstag. Wir nehmen dieses Jubiläum zum Anlass, die Geschichte der Zeitung noch einmal Revue passieren zu lassen. Im siebten Teil dieser Serie, die monatlich in der Tageszeitung erscheint, blicken wir zurück auf die Jahre 2010 bis 2014. Viel Spaß beim Lesen!


Höhepunkte der Jahre

2010

25. Januar: Das Eis auf der Oder kommt bei Minus 17 Grad zum Stehen.

8. April: In Prag unterzeichnen US-Präsident Obama und sein russischer Amtskollege Medwedew den umfassendsten Abrüstungsvertrag seit 20 Jahren.

2011

11. März: Nach zwei starken Erdbeben wird die Ostküste Japans von Tsunami-Wellen heimgesucht. Es kommt zu einer nuklearen Katastrophe.
5. Juni: Es geht die 19. Internationale Feuerwehrsternfahrt in Frankfurt und Slubice mit 4000 Feuerwehrleuten aus 17 Ländern zu Ende.

2012

8. August: Erstmals in der Geschichte der MOZ erscheint wegen großer technischer Probleme eine Notausgabe - mit zwölf Seiten und ohne einen kompletten Lokalteil.

2013

13. März: Im fünften Wahlgang wird der argentinische Kardinal Franziskus zum Papst gewählt. 29. Dezember: Michael Schumacher zieht sich bei einem Skiunfall schwerste Schädelverletzungen zu.

29. Dezember: Michael Schumacher zieht sich bei einem Skiunfall schwerste Schädelverletzungen zu.

2014

1. März: Wladimir Putin erhält vom russischen Parlament die Erlaubnis, in der Ukraine zu intervenieren. Begründung: Schutz von „Landsleuten“ und russischen Soldaten, die auf der Krim stationiert sind.

7. Juli: Die MOZ erscheint von nun an auf allen Seiten in Farbe und setzt die 134-jährige Tradition des Frankfurter Zeitungshauses fort.

25. Juli: Am Helenesee beginnt das größte Open-Air-Fest in Brandenburg: Das Helene Beach Festival zieht rund 20 000 Besucher an.