Zwischen den Dörfern Groẞ Lindow und Wiesenau liegt eine Landschaft, die nach Ruhe klingt. Kiefern stehen dicht an dicht, über den Feldern zieht der Wind, und wer hier lebt, kennt jeden Weg, jedes Gesicht. Doch seit einigen Monaten weht ein anderer Wind durch das Amt Brieskow-Finkenheerd - einer, der Unruhe bringt und Fragen aufwirbelt, die größer sind als die beiden Gemeinden selbst.
Was auf dem Papier wie eine technische Maßnahme klingt, greift im Alltag tief in das Leben der Menschen ein. Mit den ersten Bekanntmachungen begann etwas zu kippen. Erst waren es nur Gerüchte, dann Pläne, dann Karten mit roten Linien. Und plötzlich war die Energiewende kein fernes Ziel mehr, sondern ein Projekt, das direkt vor der Haustür stehen soll.
Die Reaktion kam schnell. Bürgerinnen und Bürger gründeten eine Initiative, organisierten Informationsplattformen, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen. Sie wollten wissen, was da auf sie zukommt - und warum sie niemand gefragt hatte.
Die Mehrheit der Einwohner beider Gemeinden - Groß Lindow mit 1.475 Wahlberechtigten, Wiesenau mit 1.056 hat sich inzwischen mit ihrer Unterschrift gegen das Windparkprojekt ausgesprochen. In dieser Woche übergab die Bürgerinitiative ihre gesammelten Listen an die Gemeindevertreter. Nun blickt die Region gespannt auf die entscheidende Sitzung am 17. November, bei der über das weitere Vorgehen entschieden werden soll.„Wir leben hier, wir tragen die Folgen und trotzdem dürfen wir nur zusehen“, sagt eine Mitstreiterin. „Das fühlt sich nicht mehr nach Demokratie an.“ Jetzt, da sich die Dörfer positioniert haben, steht eine größere Frage im Raum: Wie viel Natur darf Fortschritt kosten - und wer darf das entscheiden?
Zu viel Strom, zu wenig Vernunft
Brandenburg gilt beim Ausbau der Windenergie als Vorzeigeland. Schon heute produziert das Land mehr Strom, als es verbrauchen kann. Doch die Netze sind überlastet, der Überschuss wird zu negativen Preisen verkauft oder verschenkt - während die Verbraucher Rekordkosten schultern.
Was auf dem Papier als Fortschritt gilt, wird in der Praxis zur Sackgasse: Windräder, die stillstehen müssen, weil das Netz sie nicht aufnehmen kann. Energie, die erzeugt, aber nicht genutzt wird.
„Das ist kein Fortschritt“, sagt Irmhild Schweda aus Groß Lindow. „Das ist Ressourcenverschwendung und zwar auf Kosten derer, die hier leben.“
Zwischen diesen Zahlen und Realitäten wächst die Frage: Wozu neue Anlagen errichten, wenn die vorhandenen Kapazitäten schon heute an ihre Grenzen stoßen? Während andernorts über Klimaziele verhandelt wird, spüren die Menschen hier die Folgen ganz unmittelbar - am eigenen Gartenzaun, am vertrauten Horizont.
Natur und Gesundheit auf der Kippe
Der geplante Standort liegt mitten in einem Kiefernwald - einem Lebensraum, der mehr leistet, als man auf den ersten Blick sieht. Er speichert Wasser, filtert Luft, bindet Kohlendioxid und bietet Schutz für zahlreiche Tierarten. Nach Angaben des Landesamts für Umwelt kommen in der Region mehrere streng geschützte Arten vor, darunter Fledermäuse, Eisvögel und der in Brandenburg weit verbreitete Rotmilan.
Für die Fundamente der geplanten Anlagen müssten Teile dieses Waldes gerodet, Wege verbreitert und Flächen dauerhaft versiegelt werden. Das hätte Folgen für die Grundwasserneubildung und das lokale Mikroklima - und damit für die ökologische Stabilität des gesamten Gebietes.
Die Nähe zum Trinkwasserschutzgebiet sorgt für zusätzliche Bedenken. Schon jetzt sinken in weiten Teilen des Landes die Grundwasserspiegel. Die Versiegelung und der massive Einsatz von Beton könnten das sensible Gleichgewicht weiter belasten.
Und während sich auf den Planungsunterlagen nüchterne Linien ziehen, geht es für die Anwohner um ihr tägliches Leben. Sie fragen sich, welche Spuren Lärm, Infraschall und Schattenwurf über Jahre hinweg hinterlassen. Hinzu kommt der Abrieb der Flügel, durch den winzige Kunststoffpartikel in Boden und Wasser gelangen können. Noch gibt es zu den Langzeitfolgen kaum Forschung - doch wer hier lebt, wird sie am eigenen Körper erfahren.
Versprechen, die sich im Wind verlieren
Projektträger ist der Konzern Enertrag, einer der größten Windkraftentwickler des Landes. Er wirbt mit Beteiligungsmodellen und Zahlungen an die Gemeinden - bis zu 321.000 Euro jährlich. Klingt nach einem guten Geschäft. Doch auf Nachfragen, wie sich die Summe berechnet, gab es keine Antwort.
Auch beim sogenannten „Bürgerdialog“ blieb vieles einseitig. Zuhören ja, mitreden nein.
Realistisch gesehen könnten die Gemeinden höchstens mit 50.000 bis 70.000 Euro pro Jahr rechnen - zweckgebunden, abhängig von der tatsächlichen Auslastung. Gewerbesteuern fließen frühestens nach zehn Jahren, und ob überhaupt, ist ungewiss. Die Betreiber dagegen dürfen auf Gewinne im Millionenbereich pro Anlage hoffen. Viele Anwohner sehen darin ein Ungleichgewicht: Gewinne privat, Risiken lokal. Und die Gemeinden? Sie bleiben mit den Sorgen, dem Lärm und dem Wertverlust ihrer Grundstücke zurück. Bis zu 30.000 Euro Verlust pro Haus - ein Preis, den niemand zu zahlen bereit ist. So wächst der Eindruck, dass die großen Versprechen von Beteiligung und Gerechtigkeit im Wind verhallen - dort oben, wo die Entscheidungen getroffen werden, weit entfernt von den Dörfern, die mit den Folgen leben müssen.
Ein Gefühl, das bleibt: Übergangen
In Gesprächen mit den Mitgliedern der Bürgerinitiative wird eines deutlich: Es geht längst nicht mehr nur um sieben Windräder. Es geht um das Vertrauen, dass Politik nicht gegen, sondern mit den Menschen handelt.
Die Genehmigungsverfahren seien zu schnell, zu intransparent, zu weit weg vom Alltag der Betroffenen, heißt es. Dabei geht es nicht um Fortschrittsfeindlichkeit - es geht um Gerechtigkeit. Um Teilhabe. Um die Frage, ob Demokratie im ländlichen Raum noch dieselbe Bedeutung hat wie in Berlin.
„Wir wollen nicht verhindern“, sagen die Initiatoren. „Wir wollen gestalten dürfen. Wir wollen, dass man uns zuhört.“
Wenn Fortschritt Wurzeln schlagen soll
Die Menschen von Groß Lindow und Wiesenau sind keine Ideologen. Sie sind Nachbarn, Familien, Ehrenamtliche, Handwerker. Sie wissen, dass die Energiewende nötig ist. Aber sie wissen auch, dass sie nur gelingt, wenn sie mit den Menschen passiert - nicht über sie hinweg.
Sie fordern Respekt für ihre Landschaft, Ehrlichkeit in den Zahlen und Transparenz in den Entscheidungen.
Denn Heimat ist kein Hindernis für den Fortschritt. Sie ist seine Grundlage.
Und so bleibt die Bürgerinitiative wachsam. Sie will nicht spalten, sondern bewahren - nicht bremsen, sondern mitgestalten. Ihr Ziel ist kein „Nein“ um des Neins willen, sondern ein deutliches „Ja“ zu einer Energiewende, die Maß, Menschlichkeit und Verantwortung kennt.
Der Wind hat sich gedreht - nicht gegen die Zukunft, sondern für eine Zukunft, die fest in der Heimat verankert ist.
Marie Lindner