Blick eines Redakteurs: Der Ruppiner Anzeiger hatte in seinen Anfangsjahren mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, doch das positive Feedback der Leserschaft entschädigte die Blattmacher für den erlebten Stress. Holger Rudolph berichtet von den Anfängen. Holger Rudolph war einer der ersten Redakteure des Ruppiner Anzeigers. In den folgenden Zeilen bekommen wir einen kleinen Einblick in seine Arbeit.

„Ein neues Abenteuer begann, als ich Mitte September 1991 meine Tätigkeit als Redakteur beim Ruppiner Anzeiger aufnahm. Zuvor hatte ich bei der Märkischen Allgemeinen volontiert. Gesehenes und Gehörtes im Aufsatz in Worte zu fassen, so aufzubereiten, dass es dem Leser oder der Leserin gefiel, hatte mir bereits während der Schulzeit viel Freude bereitet. Beruflich war ich dann doch aus verschiedenen Gründen zunächst andere Wege gegangen. Nach einem Jahrzehnt, erst als Apothekenfacharbeiter und später als Pharmazieingenieur, wagte ich im Herbst 1990, auf eine Stellenanzeige in der Märkischen Allgemeinen zu antworten. Gesucht wurde ein Mitarbeiter für den redaktionellen Bereich der Zeitung. Schnell bemerkte ich während des Volontariats, dass mir diese Arbeit sehr gefiel. Ein Jahr später warb mich der noch sehr junge Ruppiner Anzeiger ab.
Die Redaktion des Ruppiner Anzeigers befand sich damals im Eckgebäude Schinkelstraße/August-Bebel-Straße. Ein einziger großer Raum, ein kleines Fotolabor, eine Toilette. Auf der anderen Seite des Hausflures waren Anzeigenannahme und Botenservice untergebracht.
Es gab sechs Lokalredakteurinnen und -redakteure sowie zwei Sportredakteure, außerdem eine Sekretärin, aber nur eine einzige Telefonleitung. Also war es wichtig, beim Vor-Ort-Termin draußen am Vormittag alles Nötige für eine stimmige Geschichte abzufragen. Die einzige Leitung war ständig belegt, spätere Fragen per Telefon also so gut wie unmöglich. Das sollte sich erst viel später ändern. Und das Handyzeitalter für die Allgemeinheit war längst noch nicht angebrochen.
Jeder Redakteur hatte täglich eine Zeitungsseite zu erstellen. In den ersten Jahren wurde der sogenannte Seitenspiegel, ein Abbild des Seitenaufbaus, von Hand auf einen vorgegebenen Rasterplan gezeichnet. Jeder Mitarbeiter betreute im Regelfall ein Gebiet. Eine Ausnahme bildete nur die Neuruppiner Stadtredaktion. Dort arbeiteten meist zwei Redakteurinnen oder Redakteure und ein bis zwei Volontäre an den beiden Kreisstadt-Seiten. Außerdem gab es die Gebiete Rheinsberg, Fehrbellin/Temnitz, Lindow und Kreis Neuruppin. Ich war über viele Jahre hinweg für Rheinsberg zuständig.
In den ersten Jahren fuhren Abend für Abend zwei Redakteure in die Hauptredaktion nach Oranienburg. Mangels Datenleitung wurden die Texte auf Disketten per Pkw dorthin transportiert. An einem der drei großformatigen Propages, speziellen Computern für den Aufbau gesamter Seiten, wurden aus den von Neuruppin mitgebrachten Datensätzen komplette Seiten. All dies geschah in einem der Container, in welchen sich Redaktion und Technik des Oranienburger Generalanzeigers in den ersten Jahren befanden. Das Verlagshaus in der Lehnitzstraße war noch Zukunftsmusik. Meist zweimal pro Woche war jeder Redakteur mit so einer Tour an der Reihe. Der Arbeitstag endete dann oft in Neuruppin erst um 22 oder 22.30 Uhr. Begonnen hatte er morgens um 9 oder 10 Uhr. Überstunden gab es also reichlich, bezahlt wurden sie zu keiner Zeit.
Dieses Arbeitspensum konnte nur durchgehalten werden, weil wir Redakteure und Redakteurinnen jung waren und daran glaubten, mit einer tagesaktuellen Zeitung den Lesern die Informationen auf den Frühstückstisch zu bringen, die sie sonst nicht bekommen würden. Soziale Netzwerke gab es noch nicht. Und das Internet war ebenfalls noch nicht für Otto Normalverbraucher verfügbar. Umso wichtiger war es, als Redakteur möglichst viele Abendsitzungen von Stadtverordneten, Ausschüssen und anderen Gremien zu besuchen.
Kurz nach der politischen Wende war das Interesse an aktuellen wahrheitsgemäßen Berichten sehr hoch, was sich seinerzeit auch in der Abonnentenzahl widerspiegelte. Der in der Wendezeit am Runden Tisch der regimekritischen Bürger bewegten entstandene Ruppiner Anzeiger sollte sich durch Objektivität und seinen Schwerpunkt auf die Berichterstattung aus dem damaligen Kreis Neuruppin sowie täglich zwei Seiten Lokalsport auszeichnen. Daher befanden sich die inklusive Lokalsport meist sieben, manchmal aber auch acht oder neun Lokalseiten vorn. Das Überregionale stand auf den hinteren Seiten. Wie sehr die Leserschaft an den aufgegriffenen Themen interessiert war, zeigte sich nicht zuletzt an den vielen Leserbriefen, auf die jeder Redakteur einzugehen hatte. Im Gespräch mit den Briefschreibern ergaben sich dann oft weitere Themen, die den Lesern auf den Nägeln brannten.
Mit dem Besuch abendlicher Sitzungen war der Arbeitstag längst nicht immer beendet. Oft telefonierte ich noch am Abend Texte nach Oranienburg durch, die dann am nächsten Morgen auf der Titelseite standen. Wenn wieder einmal ein potenzieller Thermalbad-Betreiber-Rheinsberg den Rücken kehrte, wenn klar wurde, dass es doch keinen Westernpark in der Hohen Heide bei Kagar geben würde. Auch dann, wenn sich die Stadtverordneten über Stunden hinweg verbal gefetzt hatten, was in der Stadt der Preußenprinzen alles andere als selten vorkam. 21 Jahre lang arbeitete ich als Redakteur beim Ruppiner Anzeiger, danach noch weitere acht Jahre als freier Mitarbeiter. Die Zeitung von heute, die ich noch immer abonniert habe, sieht hinsichtlich Themenauswahl, Artikelaufbau und Sprachstil deutlich anders aus als jene von damals. Es gibt sie aber noch immer auch in Papierform, als Print-Exemplar. Für lokale Tageszeitungen ist dies längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Zeitung am Frühstückstisch aufschlagen zu können, ist mir wichtig. Ich gehöre jener älteren Generation an, die statt eines E-Papers eine Zeitung aus Papier lesen möchte. Haptik zählt, knisterndes Papier und der Marmeladenfleck auf der Titelseite, entstanden beim Lesen eines spannenden und aktuellen Aufmachers.
Mein herzlicher Glückwunsch gilt dem Redaktionsteam und den Zustellern, verbunden mit der Hoffnung, dass es den gedruckten Ruppiner Anzeiger noch mehrere Jahre geben wird.“
Holger Rudolph