„Es gibt ein Leben außerhalb des Rathauses“

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„Es gibt ein Leben außerhalb des Rathauses“

Nach 16 Jahren als Schwedter Bürgermeister: Jürgen Polzehl verabschiedet sich ohne Wehmut, dafür aber mit Neugier in den Ruhestand

Auch die Schreibtischarbeit muss gemacht werden: Jürgen Polzehl in seinem Bürgermeister-Büro im Rathaus. Ende November wird er seinen Platz räumen. Foto: Oliver Voigt

21.09.2021

Schwedt. In einer Woche ist es soweit: Die Schwedter wählen ein neues Stadtoberhaupt. Ein spannender Wahlsonntag steht bevor – auch für den Amtsinhaber Jürgen Polzehl. Wie er auf seine 16 Jahre im Rathaus-Chefsessel zurückblickt, warum für ihn eine erneute Kandidatur nicht infrage kam und was er sich für die Zukunft „seiner“ Stadt wünscht, darüber sprach Christina Schmidt mit dem scheidenden Bürgermeister.Herr Polzehl, Ihr Abschied rückt näher. Spüren Sie Wehmut?Nein, keineswegs. Es muss auch ein Leben außerhalb des Rathauses und nach dem Bürgermeister-Amt geben. Und darauf freue ich mich wirklich.

Nach 16 Jahren als Schwedter Bürgermeister: Jürgen Polzehl verabschiedet sich ohne Wehmut, dafür aber mit Neugier in den Ruhestand

Mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ebenfalls nach 16 Jahren ihren Abschied nimmt, verbindet Sie auch das selbstbestimmte Ende Ihrer Laufbahn. Warum haben Sie sich nicht erneut der Wahl gestellt?

Das war tatsächlich eine Entscheidung, über die ich nicht lange nachdenken musste. Ich bin 68 Jahre alt, da ist es Zeit. Ein Wechsel ist angesagt, und das ist gut und richtig so. Ich akzeptiere, dass ein neuer Lebensabschnitt kommt. Ich muss mich sicher erst einpendeln im Pensionärs-Dasein, aber dann habe ich Zeit für die Familie und für’s Reisen.

Ein politisches Engagement zum Beispiel in der Stadtverordnetenversammlung kommt für Sie nicht infrage?

Nein, wirklich nicht. Jetzt sind andere dran. Ich bin neugierig und werde Schwedts Entwicklung natürlich sehr interessiert verfolgen, aber in Zukunft wird’s für mich andere Prioritäten geben.

Schwedt hat sich in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten massiv gewandelt.

Das kann man laut sagen. Der Stadtumbau ist zu unserem Aushängeschild geworden und ich bin auch persönlich etwas stolz, dazu beigetragen zu haben, dass wir eine moderne und lebenswerte Stadt sind. Die Liste der Neubauten und Sanierung, vom Berlischky-Pavillon über die Dorfgemeinschaftshäuser bis hin zu Sportplätzen, Straßen oder auch der Kita-Neubau in Criewen – bei uns hat sich richtig was getan.

Eben ein „Platz für morgen“, mit dem die Stadt in einer Imagekampagne auch überregional wirbt.

Ja, wir wollen den Schwedtern, aber auch Ehemaligen und Menschen von außerhalb noch viel deutlicher machen, was wir zu bieten haben: Natur, Kultur, Wirtschaft, eine tolle Wohnatmosphäre, eine verlässliche Kinderbetreuung, moderne Schulen – da brauchen wir nicht hinter’m Berg halten, sondern können ganz selbstbewusst auch um neue Schwedter werben.

Dennoch ist in 16 Jahren als Rathaus-Chef nicht immer alles rosig verlaufen. Es gab auch Hürden, Rückschläge und Ärgernisse.

Natürlich. Als ich gestartet bin, war die Stadt mit 24 Millionen Euro im Minus. Heute haben wir fast genauso viele Rücklagen, die uns viel Spielraum für die Zukunft ermöglichen. In der Rückschau wird deutlich, dass der Erfolg immer auch auf Kompromissbereitschaft beruht, auf eine gute Zusammenarbeit mit den Stadtverordneten und vielen anderen Partnern in der Stadt. Dafür bin ich dankbar.

Welche Situationen sind Ihnen denn als besonders einschneidend in Erinnerung geblieben?

Die Waldbad-Schließung bewegt die Schwedter noch immer. Ohnehin ist das Baden, so wie auch jetzt nach dem tragischen Unglück im AquariUM, ein großes Thema und wird es wohl auch bleiben. In meine Amtszeit fielen auch die Privatisierung des Klinikums, die Diskussionen um den Erhalt des Amtsgerichtes und den der Stadtsparkasse oder auch die Kinorettung, was alles gelungen ist. Es gab immer wieder schwierige Situationen, die zunächst unüberwindbar erschienen, aber mit den Jahren weiß man, dass man sich auf sein Team – ich bin ja schließlich auch für fast 400 Verwaltungsmitarbeiter zuständig – verlassen kann.

Und die Herausforderungen reißen nicht ab. Ob der Hick-Hack um die mögliche Eingemeindung der Oder-Welse-Orte oder die Sorge der Unternehmer um die Fachkräfte der Zukunft angesichts einer älter werdenden Bevölkerung in Schwedt – alles große Aufgaben für den/die kommende/n Bürgermeister/-in.

Ja, es bleibt viel zu tun. Leichter wird’s sicher nicht. Da geht es nicht nur um eine Entscheidung bei der Eingemeindung, mit der wir auch unseren Anspruch auf gute Stadt-Umland-Beziehungen und die Entwicklung auf den Dörfern unterstreichen wollen. Wir wollen und müssen auch in Sachen Wirtschaftsförderung und - unterstützung am Ball bleiben, wo wir mit dem Innovation-Campus schon auf einem guten Weg sind. Die Beziehung zu unserem Nachbar Polen, die auch nicht immer unkompliziert ist, ist entscheidend für die Entwicklung in der gesamten Region. Und dann ist da noch die bisher schlechte Bahnanbindung, für die wir uns ganz dringend stark machen müssen. Es muss also niemandem bange sein, dass nicht genügend schwere Aufgaben vor uns liegen.

Zu Ihrer Jobbeschreibung gehörten immer auch Überraschungen und freudige Momente. Welche fallen Ihnen da sofort ein?

Da fällt mir ganz viel ein. Große Feierlichkeiten wie der Brandenburg-Tag, bei dem wir einmal mehr unsere Qualitäten als Gastgeber unter Beweis gestellt haben. Aber auch so überraschende Entwicklungen wie die Flüchtlingskrise oder zuletzt Corona-Pandemie mit der kurzzeitigen Schließung der polnischen Grenze, als hier alles still stand. Wir mussten schnell reagieren und haben das super gemeistert. Das gibt auch im Rückblick ein sicheres Gefühl für alles, was da noch kommen mag.

Und wenn Sie nun den Blick in die Glaskugel wagen könnten, wo sehen Sie Schwedt dann in zehn Jahren?

Viele junge Menschen und Familien, die im Job innovative Ideen entwickeln, sich in der Mittagspause mit dem Blick auf den Nationalpark entspannen und abends gemeinsam in den vielen Gaststätten und Kneipen der Stadt den Tag ausklingen lassen. Dieser Ausblick würde mir gefallen.

Wer auch immer zukünftig in Ihrem Büro Platz nehmen wird, haben Sie einen Rat oder einen Tipps für sie oder ihn?

Mit Ratschlägen tue ich mich etwas schwer, denn jeder Mensch ist eine eigene Persönlichkeit. Ich habe mich in diesem Amt jeden Tag wohlgefühlt und hatte immer Spaß. Wer sich das bewahren kann und dazu noch ein Ohr für die Bürger hat, der wird dieses Amt gut ausfüllen.

Vielen Dank für das Gespräch!
  

Bekenntis zur Kleingartenkultur

„Es gibt ein Leben außerhalb des Rathauses“-2
Foto: Frank Rumpenhorst

Arbeitshandschuhe an und dann nichts wie in den Garten: Für viele Menschen gehört genau das zu einer aktiven Freizeit. Um die Bedeutung der Kleingärten in Schwedt hervorzuheben, haben nun der Kreisverband der Gartenfreunde und die Stadt Schwedt, in Person des Vorsitzenden Eberhard Wolfart und des Bürgermeisters Jürgen Polzehl, eine Vereinbarung unterzeichnet. Beide bekennen sich darin zum Erhalt und der Förderung der Kleingartenanlagen in der Stadt. Weil die Kleingartenvereine unter anderem mit Leerstand zu kämpfen haben, insgesamt aber zu einer ausgewogenen Stadt-Ökologie beitragen wollen, soll es zukünftig einen Kleingartenbeirat geben, der regelmäßig tagt. Die Stadt sicherte bei Problemen ihre Hilfestellung zu. Fred Schenk, Vorsitzender des Landesverbandes Brandenburg der Gartenfreunde, lobte die Vereinbarung als Musterbeispiel für die Zusammenarbeit von Kommunen und Kleingartenvereinen.

Sondersitzung

Schwedt. Im Ringen um die Zukunft der Oder-Welse-Gemeinden und die Absicht des Brandenburger Innenministeriums, diese mit der Amtsauflösung 2022 dem Amt Gramzow zuzuschlagen, ist die Stadt Schwedt zu einer Stellungnahme aufgerufen. Das Credo steht schon fest: Schwedt wünscht sich am liebsten Berkholz-Meyenburg, Mark Landin, Passow und auch Pinnow zukünftig als Schwedter Ortsteile. Die drei erstgenannten Gemeinden haben auch längst zugestimmt und stemmen sich nun mit einer Petition gegen die Zwangszuordnung. Doch Pinnow ziert sich mit einer Entscheidung über seine Zukunft, damit gibt es auch für die anderen drei Orte kein Vorankommen im Prozess.

Wie die Stellungnahme zu den Plänen des Ministeriums im Detail aussieht, dazu gibt es am 5. Oktober um 16 Uhr eine Sondersitzung der Schwedter Stadtverordneten an den Uckermärkischen Bühnen. (MäSo)

Städte-Vergleich

Schwedt. Bei einem Städte-Vergleich von fast 600 Mittelstädten (20 000 bis 75 000 Einwohner) zum Thema „Entwicklung und Wachstum“ hat Schwedt den 18. Platz erlangt. Die Stadt punktete, so informiert das Rathaus, unter anderem in Bezug auf die Entwicklung der Investitionen, des Bruttoinlandsprodukts, des verfügbaren Einkommens, der Steuereinnahmen sowie der Wohnungen und Einfamilienhäuser. (MäSo)

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