Im eisigen Reich der Erlkönige

AUTO SPECIAL

Im eisigen Reich der Erlkönige

Neue Modelle: Viele Herstelle machen Autotests am Polarkreis.

Eisheilige: Unternehmen wie Audi erproben seit langem ihre Fahrzeuge auch auf frostigem Terrain. Foto: Roman Raetzke/Audi AG/dpa-mag

13.02.2023

Wenn Männer wie Holger Enzmann oder Carsten Jablonowski aktuell die Koffer für ihre Dienstreisen packen, dann kramen sie eher nach dicken Socken als nach Krawatten. Und statt der Lederslipper kommen Moonboots ins Gepäck. Beide sind Ingenieure aus der Autoindustrie und wieder auf dem Sprung an die Region des Polarkreises.

Jahr für Jahr die gleichen Szenen vor allem im schwedischen Arjeplog, aber auch im finnischen Ivalo und in anderen Gemeinden im hohen Norden Skandinaviens: Ab Dezember fallen Hunderte, bisweilen sogar Tausende Spezialisten mit ihren Prototypen ein.

Hier wollen sie die kommenden Autoneuheiten oft Jahre vor der Markteinführung auf Herz und Nieren prüfen. Die sogenannten Erlkönige sind meist bis zur Unkenntlichkeit mit Plastikplanken und psychedelischer Folie getarnt. Sie werden in stoischer Routine über Tausende von Kilometern über einsame Landstraßen getrieben - oder über mal griffig aufgeraute, mal spiegelglatt polierte Parcours auf dem dicken Eis zugefrorener Seen.

„Das gehört bei uns fest zum Entwicklungsprogramm“, sagt Mercedes-Mann Holger Enzmann. Er verantwortet die elektrische Oberklasse-Familie der Schwaben und schickt seine Prototypen im besten Falle sogar zwei Winter in Folge ins Eis. „Im ersten, um alles auszuprobieren und einzustellen, und im zweiten dann, um noch einmal alles zu überprüfen.“

Vom Fensterheber bis zum Fahrwerk - alles im eisigen Härtetest

Beteiligt an diesen Tests sind laut Carsten Jablonowski aus der Audi-Mannschaft nahezu alle Gewerke. Die Arbeit im Eis sieht allerdings oft spektakulärer aus, als sie tatsächlich ist. Denn während die Erlkönige auf Film und Fotos oft meterlange Schneeschleppen nach sich ziehen und mit hohem Tempo den Schneewalzer tanzen, sind viele Runden ohne Kameras stumpfe Routine: „Wir tasten uns gaaanz, gaaanz langsam an den Grenzbereich heran, tasten und schlittern deshalb oft tagelang nur im Schritttempo übers Eis.“

Jagdfieber im Eis

Kein Wunder, dass mit den Testern auch die sogenannten Erlkönigjäger an den Polarkreis reisen. Fotografen, die sich auf das „Erlegen“ der Prototypen spezialisiert haben und mit dem ersten Schuss oft viel Geld verdienen. Und auch kein Wunder, dass die Entwickler sich über die anhaltende Dunkelheit freuen.

Zwar schlägt es bisweilen ein wenig aufs Gemüt, wenn es wochenlang nicht hell wird, räumt Mercedes-Entwickler Enzmann ein. Aber zusammen mit der ausgeklügelten Tarnung der Prototypen-Bauer macht das den Spionen mit ihren Kameras die Arbeit entsprechend schwer. dpa

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