Am 4. April erschien die erste Ausgabe mit diesem Geleitwort: „Herausgeber und Redaktion wollen eine unabhängige Zeitung. Historie und Aktualität sollen, müssen sich ergänzen. Das Lösen der aktuellen Probleme ohne Berücksichtigung und Einbeziehung des Vergangenen birgt in sich die Gefahr des Unüberlegten, des Nichtabwägens, des Risikos. Heimatverbundenheit, Tradition und Kultur sind eng verbunden, ergänzen sich. Neuruppin als Fontanestadt und Geburtsort Schinkels, Rheinsberg, verflochten mit den Namen Kronprinz Friedrich, Prinz Heinrich und später Tucholsky welch weites Feld!“
„Die Herausgabe dieser Zeitung wäre nie möglich gewesen ohne die revolutionären Veränderungen in unserem Land“, war sich der Herausgeber Dr. Nürnberg sicher, „dieser gewaltlosen Revolution, in unserer Stadt geprägt durch die Friedensgebete in der Klosterkirche und die anschließenden Demonstrationen, an denen sich Tausende Bürger beteiligten. Das war auch hier bei uns der Sieg der Zivilcourage über die Staatsmacht.“
Schwerpunkt Heimat
Einen Schwerpunkt legte der RA früh auf heimatkundliche Themen. In der ersten täglichen Ausgabe am 15. Dezember 1990 formulierte es Dr. Nürnberg so: „Die Heimatgeschichte des Kreises Ruppin dazu gehören natürlich alle Teile des alten Ruppiner Kreises, angefangen von Gransee, Löwenberg bis hin nach Wusterhausen, Neustadt/Dosse ist ein weites Feld, das wie die Resonanz der Leser deutlich zeigt, einen sehr interessierten dankbaren Leserkreis hat. Wenn Herr Professor Gerd Heinrich, Historiker in Berlin, Fachrichtung Brandenburgische Heimatgeschichte, vielen Lesern durch seine heimatkundlichen Vorträge und Artikel bekannt, in Zukunft als Mitarbeiter der Zeitung mitwirken wird, so sei das ein äußeres Zeichen dafür, welche Bedeutung die Redaktion dieser Thematik beimiẞt.
Wenn wir ferner Herrn Studienrat Horst Erdmann als anerkannten Fontaneforscher und Literaturkenner gebeten haben, die Redaktion zu unterstützen, so weist das auf einen weiteren Schwerpunkt hin, Literaturund Kulturgeschichte. Last but not least soll und will der RUPPINER ANZEIGER auch in Zukunft niemals vergessen, daß er, in der Tradition der alten „Märkischen Zeitung“ stehend, ein Verbindungsglied sein will zwischen allen Ruppinern, den alten und den neu hinzugekommenen, den seit Jahrzehnten in der ganzen Bundesrepublik verstreuten und den seit ihrer Flucht oder Ge-burt hier ansässigen.“
„Für jeden Bereich hatten wir im Beirat einen Sachverständigen“, erinnerte sich der Herausgeber 1997 zur Eröffnung des eigenen Pressehauses„,für die Landwirtschaft den leider viel zu früh verstorbenen Wolfgang Becker, für Kunst Hans-Hermann Degener, für Heimatkunde Günter Eitz, für Literatur unseren Fontaneforscher Horst Erdmann, für brandenburgische Geschichte Prof. Gerd Heinrich, für Kirchenfragen Pfarrer Heinz Karau, für Stadtgeschichte und Bürgerkunde Inge Neuparth und als Mitherausgeber Herbert Vick.“
Kampf um den Absatz
1990 zog die Redaktion zunächst ins Eckgebäude Schinkelstraße/August-Bebel-Straße. „Die Arbeitsräume wurden erweitert, ergänzt durch zwei Räume im oberen Geschoß geschaffen für den Publikumsverkehr“, erinnerte sich Dr. Nürnberg. Und dann habe der Kampf um den Absatz und die Leserwerbung begonnen.„In den Sommermonaten des Jahres 1990 wurde ein harter Kampf ums Überleben geführt. Die Währungsunion bescherte uns die allgemeine Abbestellungswelle, von der kaum eine Zeitung verschont blieb. Auch unser fester Leserstamm reduzierte sich auf ein Drittel. Die Bindung zur Partnerstadt Bad Kreuznach war trotz Verhandlungen mit dem Oberbürgermeister vor Ort und den beiden Tageszeitungen noch nicht so ausgereift, daß von dortigen Bestellungen deutliche Entlastung kam.
Günstiger wirkten sich da die Kontakte zum seit vielen Jahren bestehenden Neuruppiner Heimatverein aus. Alte Ruppiner, in der gesamten Bundesrepublik verstreut, sind noch heute Abonnenten des Ruppiner Anzeigers.
Rückblickend liest sich manches vielleicht schwer verständlich. Wir mußten uns nicht nur des westlichen bunten Blätterwaldes erwehren, wir mußten auch kämpfen gegen die alte rote Parteipresse, die schnell gewendet, recht selbstbewußt mit alter Garde in den Konkurrenzkampf eingriff und unserem neuen Profil entgegensteuerte, uns mehr rechts als links zu überholen suchte.
36 Ausgaben des Ruppiner Anzeigers sind als Wochenblatt erschienen, dann wurde Mitte Dezember 1990 der erste Ruppiner Anzeiger als Tageszeitung herausgegeben. Ein Grund dafür war, daß durch das tägliche Erscheinen dem Leser ausreichend Informationsmaterial geboten wurde, so daß sich das Halten einer zweiten Zeitung erübrigt. Vorausgegangen war die Übernahme des Ruppiner Anzeigers vom Märkischen Zeitungsverlag mit Wirkung vom 31. Oktober 1990.“
eis
Was 1990 passierte
• 5. April 1990: Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR tritt zusammen. Präsidentin: Sabine Bergmann-Pohl (CDU).
• 12. April 1990: Die Volkskammer wählt Lothar de Maizière (CDU) zum Ministerpräsidenten.
• 5. Mai 1990: Zwei-plus-Vier-Gespräche der Außenminister von USA, UdSSR, Frankreich, Großbritannien und der beiden deutschen Staaten in Bonn.
• 6. Mai 1990: Erste und einzige demokratische Kommunalwahl in der DDR - CDU 34,4 Prozent, SPD 21,3, PDS 14,6, FDP 6,6 Prozent.
• 31. Mai 1990: Amerikanisch-sowjetischer Gipfel in Washington mit dem Ergebnis: Die NATO-Mitgliedschaft ist eine Angelegenheit Deutschlands.
• 14. Juni 1990: Die in Frankfurt (Oder) untergetauchten RAF-Mitglieder Ekkehard Freiherr von Seckendorff-Gudent und Monika Helbing werden verhaftet.
• 3. Oktober 1990: Die DDR tritt der Bundesrepublik Deutschland bei. Der Tag der Deutschen Einheit wird zum gesetzlichen Feiertag in Deutschland.
• 9. November 1990: Am ersten Jahrestag der Maueröffnung vereinbaren Präsident Michail Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl den„Generalvertrag“ über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit.
• 14. November 1990: Polens Außenminister Skubiszewski und Amtskollege Genscher unterzeichnen den deutsch-polnischen Grenzvertrag.
• 6. Dezember 1990: Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) kündigt die Gründung der Europa-Universität in seiner Regierungserklärung an.
• 9. Dezember 1990: Lech Wałęsa wird in Polen zum Staatspräsidenten gewählt.