35 Jahre Märkische Oderzeitung

Als ein Wisent vorm Anglerheim stand

Rückblick: 2017 kam der erste Wisent in freier Wildbahn seit über 200 Jahren nach Deutschland und wurde noch am gleichen Tag erschossen. Das löste fast eine Staatsaffäre aus.

Der Fall des 2017 erschossenen Wisents schlug auch in Polen hohe Wellen. Foto: Patrick Pleul/dpa

18.08.2025

Über manche Dinge wächst einfach kein Gras. Wenn es freilich um den ersten Wisent geht, der seit über 200 Jahren in freier Wildbahn nach Deutschland gekommen war und noch am gleichen Tag erschossen wurde, ist es schon etwas Besonderes. 

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Zur Erinnerung: Am Nachmittag des 13. September 2017 kamen kurz nach 17 Uhr zwei atemlose Lebuser ins dortige "Anglerheim" und riefen: "Da draußen steht ein Riesentier." Tatsächlich war der zottelige Bulle zu jenem Zeitpunkt nur etwa 50 Meter von dem Lokal entfernt. 

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Zunächst übernahm die Feuerwehr des Ortes den ungewöhnlichen Fall. Wenig später sicherten auch zwei Polizeibeamte das Gelände. Doch rasch waren sie mit ihrem Latein am Ende. Würde der Bulle sich für eine Kuhherde in der Nähe interessieren? Was wäre, wenn er Kinder oder andere Passanten angreift? Fragen über Fragen, auf die man keine Antwort wusste. Deshalb wurden vom damals zuständigen Amtsdirektor Heiko Friedemann der Jäger Frank Kütbach und ein weiterer Kollege alarmiert. 

Dass man das Tier nicht einfach abknallen könne, war dem erfahrenen Weidmann sonnenklar. „Wenn du in Deutschland einen Wolf erschießt, zahlst du 10 000 Euro Strafe und kommst noch in Haft", sagte Kütbach damals. Aber wie erlegt man eigentlich einen Wisent, ohne dass der Bulle nur angeschossen wird und dadurch außer Rand und Band gerät? 

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Von den telefonisch befragten Tierärzten in den umliegenden Orten hatte keiner ein geeignetes Betäubungsgewehr. Und überhaupt: Wie viel Betäubungsmittel braucht eigentlich so ein Bulle? „Wenn im Berliner Zoo Löwen oder Elefanten betäubt werden, dann nehmen sie dort ein hochwirksames Mittel, ziehen Schutzanzüge an, und hinter demjenigen, der die Spritze verabreicht, steht jemand, der zur Not ein Gegenmittel zur Hand hat“, erzählte Kütbach. 

"Es wurde sechs, es wurde sieben und immer dunkler", erinnerte sich der Waidmann. Zudem sei das Tier in Richtung einer Bundesstraße getrottet, an der sich auch noch ein riesiges Maisfeld erstreckte.„Dort wäre er unseren Blicken entschwunden und in der Nacht oder am Morgen vielleicht auf die Straße gerannt.“ Frank Kütbach fragte sich, was passiert wäre, wenn wegen des Wisents ein Autounfall passiert wäre.„Höchstwahrscheinlich hätte es Tote beim Zusammenstoß mit dem 900-Kilo-Bullen gegeben“, argumentierte er. 

Weil deshalb Gefahr in Verzug war, ordnete der Amtsdirektor 19.30 Uhr den Abschuss an. Die beiden Polizeibeamten waren zum gleichen Urteil gekommen. Um 19.58 Uhr drückten die Jäger zweimal hintereinander ab, "beim zweiten Mal sackte der Bulle in sich zusammen", erinnert sich Kütbach. Die Gefahr schien gebannt, doch am nächsten Tag sollte ein Sturm der Entrüstung über den kleinen Ort losbrechen. 

Die Umweltorganisation WWF stellte sofort Strafanzeige gegen den damaligen Amtsdirektor. "Die Abschussfreigabe eines streng geschützten Tieres ohne ein ersichtliches Gefährdungspotenzial ist eine Straftat", begründete sie den Schritt. Der damalige Fraktionschef der Grünen im Landtag, Axel Vogel, zeigte zudem noch die beiden Schützen persönlich wegen Wilderei an. 

Noch mehr Öl ins Feuer goss ein im RBB gezeigtes Video, in dem zu sehen ist, dass die Jäger das Tier waidmännisch zerlegt und ihm den Schädel abgetrennt hatten. Der Reporter bemerkte süffisant, dass das Fleisch "fein säuberlich portioniert für das nächste Grillfest" sei. „Völliger Quatsch“, wie Frank Kütbach später sagte.

Der Fall wuchs sich fast zur Staatsaffäre mit dem Nachbarland aus. „Mörder“ stand auf einem Transparent, das am polnischen Oderufer aufgestellt wurde. Polens seinerzeitiger Innenminister Joachim Brudzinski twitterte halb bissig, halb ironisch: "Der Bursche wollte in Deutschland doch nur ein Weibchen suchen, aber die Deutschen haben ihn einfach erschossen. Vielleicht werden sich außer den deutschen Ökologen auch die Feministinnen zu Wort melden?"

Damals stellte sich heraus, dass der Wisent zuvor seit Monaten östlich der Oder durch die Gegend gestreift war. Der Bulle stammte aus einem halboffenen Zuchtgehege 150 Kilometer östlich der Grenze, aus dem er im Frühjahr 2017 entlaufen war. Um die Wogen zu glätten, schrieb der damalige Landrat von Märkisch-Oderland, Gernot Schmidt, einen Brief an seine Amtskollegin im polnischen Gorzów. Darin bat er im Namen aller Beteiligten um Verzeihung. 

Im Gegenzug luden die Polen zur ersten grenzüberschreitenden Konferenz über Wisente, Wölfe und andere geschützte Wildtiere ein. Für Frank Kütbach, den zweiten Schützen sowie den damaligen Amtsdirektor von Lebus Heiko Friedemann war freilich entscheidend, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) im Juni 2018 alle Ermittlungen gegen sie einstellte. Die Entscheidung, dass von dem Tier eine Gefahr ausgehe, sei unter den konkreten Umständen richtig gewesen, hieß es zur Begründung.


 ds/iwa


Liebe Leserinnen und Leser

Die MOZ feiert in diesem Jahr ihren 35. Geburtstag. Wir nehmen dieses Jubiläum als Anlass, die Geschichte der Zeitung noch einmal Revue passieren zu lassen. Im achten Teil dieser Serie, die monatlich in der Tageszeitung erscheint, blicken wir zurück auf die Jahre 2015 bis 2019. Viel Spaß!

Meilensteine der Jahre

2015
31. August: Die ausgetrocknete Oder hat einen historischen Tiefstand erreicht. Der Pegel steht bei 78 Zentimeter.
2016
19. Dezember: In Berlin rast Anis Anri in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz.
2017
11. Januar: In der Hamburger HafenCity wird die Elbphilharmonie eröffnet.
2019
15. April: In der berühmten Kathedrale Notre Dame de Paris bricht ein verheerendes Feuer aus.