Profi-Boxer René Hübner: Ein echter Kumpel-Typ

UNSERE BOXERLEGENDE RENÉ HÜBNER NACH DEM KAMPF IST VOR DEM KAMPF!

Profi-Boxer René Hübner: Ein echter Kumpel-Typ

Der Eisenhüttenstädter René Hübner wurde WBU-Welt- und IBF-Europameister. Er will seine Karriere mit der Deutschen Meisterschaft in seinem Geburtsort beenden.

Profi-Boxer René Hübner in seinem Fitnesscentner, hier mit Praktikant und Ferienhelfer Timo Göldner, der Sohn eines guten Freundes. Foto: Jörg Kotterba

20.02.2023

Alles unter einem Dach: Travestie-Festival, Ingo-Appelt-Show und Stefanie Hertel mit Dirndl-Rockband. Doch am 14. Januar waren auf der Bühne des Eisenhüttenstädter Friedrich-Wolf-Theaters keine Künstler zu sehen. Dort wurde geboxt. Slogan: Fliegende Fäuste statt Schauspielkunst. Der gebürtige Eisenhüttenstädter René Hübner, im fünften Wohnkomplex aufgewachsen und jetzt 47 Jahre alt, erkämpfte sich gegen den gleichaltrigen Herausforderer Jürgen Manger den Sieg in der Europameisterschaft der ,,World Boxing Union" (WBU). Nach nur sechs Runden. Sein Gegner aus Landau in der Pfalz warf noch vor Beginn der siebten sprichwörtlich Runde das Handtuch.

Wer ist dieser René Hübner, der mit 1,87 Meter Größe und einem durchtrainierten Körper 88 Kilo auf die Waage bringt? War er in der Schule ein Schwächling? Oder Streber? Und bei der Berufswahl wählerisch? Lebt er heute mit einer Frau oder Freundin unter einem Dach? Ist er im Boxring wirklich ,,ein harter Hund", wie er von sich sagt? Stand ihm als Box-Profi tatsächlich nie ein Manager zur Seite? Und wer hat die Tattoos ausgewählt, die nicht nur seine Brust und seinen Rücken schmücken? Auf Plakaten wird er damit als Rebell vermarktet. Ist Hübner tatsächlich einer? Oder alles nur Show?

Um es vorweg zu nehmen: René Hübner ist eine ehrliche Haut. In seinem zweiten Zuhause, dem Fitnesscenter ,,Abasa Reha & Athletic Sport" in der Eisenhüttenstädter Oderlandstraße, gesteht er frank und frei: ,,Als Schüler war ich ein fauler Sack. Ich ging damals in die Gagarin-Oberschule. Doch statt zu büffeln habe ich mit meiner Clique lieber Mist gebaut." Wobei der „Mist“ zum Ende der DDR fast nach Parfüm roch - im Gegensatz zu heute. Jetzt hat „Mist" einen anderen, schlimmeren Geruch...

René Hübner ist ein Wendekind. Er pubertierte, als die Mauer fiel. ,,Ich verließ ziemlich jung mein Elternhaus, wollte mich abnabeln, die neue Zeit genießen. Die Freiheit. Ein Abenteuer." Mit seiner Clique besetzten sie eine Neubau-Wohnung. Die Mieter hatten sie in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen, um in den Westen zu fliehen. ,,In der Wohnung war noch alles drin - von der Küche bis zum Schlafzimmer und der gemütlichen Sofaecke. Wir hatten Wasser, Heizung und Strom. Uns fehlte nichts. Ein Paradies..."

Anfang de 1990e -Jahre herrschte bekanntlich im Osten Deutschlands Anarchie. „Es gab bei diesem Wirrwarr, zumindest in unserem Wohnkomplex, keinen Hausmeister mehr, keinen Vermieter, der die Hand aufhielt und Miete und Stromgeld kassieren wollte. Wir lebten damals in einem, wenn man so will, rechtsfreien Raum. Wann gibt's das schon? Und wir Jugendliche mittendrin. Das war schon eine geile Zeit", blickt René Hübner schmunzelnd zurück. Dabei krault er Mila, ein Shepherd-Weibchen. Sein Vierbeiner verzückt nicht nur den Gast mit einer wunderschönen Fellfärbung, mit braunen Augen und einer freundlichen, zutraulichen Art.

Mila ist Renés Freundin. Und die einzige Dame in seiner echten Wohnung. „Eine Freundin oder Frau lebt dort nicht", gesteht Hübner. Natürlich gäbe es da mal diese und jene. Aber fest binden, nein. Nicht mehr. Seine zwei Mädchen, elf und acht Jahre alt, leben in Leipzig. Er sieht sie nicht oft. Aber wenn sie nach ,,Hütte" kommen, freuen sich auch Renés Eltern Roland und Ruth.

,,Meine Kinder, eins ist adoptiert, zieren als Tattoos meinen Körper. Einige andere sind Jugendsünden - und nicht preisverdächtig. Viele sind aber auch Kunst." Das Tattoo-Stechen ist ihm nicht fremd. Mit einem Freund leitete er in Eisenhüttenstadt ein Tattoo-Studio, das noch immer existiert. „Heute aber dreht sich als Geschäftsführer mein Leben vor allem um Abasa, mein Gesundheitszentrum. Dank meiner Rea-Lizenz betreue ich auch ältere Kursteilnehmer Ü 60. Die sind sehr dankbar. Ich trainiere auch behinderte Kinder. Die sind noch dankbarer." Hübner, ein harter Hund? Wer nur kommt auf solche Gedanken?

Noch in DDR-Zeiten hatte René Hübner, den Freunde kurz Hubi nennen, seine Liebe für den Kampfsport entdeckt. Mit Judo-Trainer Bert Oettel fing alles an. Er schaffte gar den blauen Gürtel. Doch dann drehte sich sein Herz um 180 Grad, schlug nur noch fürs Boxen. Kein Wunder, hatte doch Vater Roland bereits als Mittelgewichtler in Frankfurter Leistungszentrum geboxt. Sohn René kämpfte sich, wie sein zwei Jahre jüngerer Bruder Andreas, bei Aufbau Eisenhüttenstadt von Sieg zu Sieg. Und weiter bergauf ging es mit der Karriere. Schon als 17-Jähriger zog sich Hübner für den Oberligisten Babelsberg die Fausthandschuhe an. Im Jahr 2000 kämpfte er für den Frankfurter Boxring sogar in der 2. Bundesliga. Als Schwergewichtler! Er war auch Sparringspartner für die Köber-Brüder Sebastian und Stefan. Sie bereiteten sich mit seiner Hilfe auf Europa- und Weltmeisterschaften vor.

Womit hat Hübner in den zurückliegenden drei Jahrzehnten seine „Brötchen" verdient? Die Frage macht René nicht verlegen. Doch steckt man Eisenhüttenstädter in 50 mögliche Schubläden - für René Hübner braucht man die 51. ,,Angefangen habe ich auf dem Bau. War aber auch mal Türsteher. Oder Security-Mann. Ich bin ein unsteter Typ. Das Bild mit den Schubladen ist wirklich nicht verkehrt. Mich gibt's hier nur einmal."

Vor 22 Jahren erwarb René Hübner seine Profilizenz. Erfolgreich, wie man mittlerweile weiß. ,,Ich hab aber auch jede Menge Lehrgeld bezahlt", fügt er ehrlich an. Trainer Hartmut Klappert aus Fürstenwalde (,,sein Name muss unbedingt in die Zeitung") habe manche Niederlage verhindert.

Seine Profi-Karriere im Cruisergewicht startete Hübner am 27. April 2001. Damals gewann er gegen den Serben Alexander Nikolic nach nur drei Runden. Für Box-Nichtkenner: Das Cruisergewicht ist beim Profiboxen die Gewichtsklasse unter dem Schwergewicht. Von seinen 72 Profikämpfen verlor Hübner nur 19. „Da waren Top-Leute, die mit mir im Ring standen." Er wurde WBU-Welt- und IBF-Europameister. War vor fünf, sechs Jahren 27. der Gesamtweltbestenliste im Cruisergewicht. Hut ab, René Hübner!

Durch einen Kopftreffer ging der Eisenhüttenstädter nie k.o. - Seine Devise: ,,Man muss schlau boxen, die Schwächen und Stärken des Gegners auskundschaften und Lücken suchen." Außerdem sei er wirklich, was das Boxen anbelangt, „ein harter Hund." Er nennt sich manchmal auch Konditionswunder. Ein Begriff, den Sportlern jenseits der 40 wahrlich gestattet sei.

Was René Hübner auch ehrt: Er hat sich dem manchmal sehr umstrittenen Boxgeschäft nicht völlig unterworfen. ,,Ich wollte immer frei sein. Wollte alles selber machen. Da sehe ich mich als Einzelkämpfer. Wer einen Vertrag unterschreibt, versklavt sich auch. Natürlich bringt ein Vertrag mehr Sicherheit. Doch wenn man alles vorgeschrieben bekommt, kann die Lust am Boxen schnell verschwinden. Viele Talente sind mangels schneller Erfolge bei einem großen Stall schnell fallengelassen worden und haben früh aufgehört. Boxen soll ja auch Spaß machen.“

Ute Hirche, bei ,,Abasa Reha & Athletic Sport" Trainerin für den Rehasport und für Pilates, ein Ganzkörpertraining mit dem Schwerpunkt auf Kräftigung der Bauch-, Beckenboden, Zwerchfell- und Rückenmuskulatur, kann über die Bescheidenheit ihres Chefs nur den Kopf schütteln. ,,Ja, René ist manchmal ein Draufgänger. Aber er weiß, was er will. Er kann ungewöhnlich schnell kombinieren, hat ein großes Herz, ist ein echter Kumpel-Typ."

Und dieser echte Kumpel-Typ ist Nichtraucher, fährt gern Motorrad, findet sich selbst sehr hippig, liebt Abenteuer-Urlaube und gute Weine. Und guten Rum. „Don Papa zum Beispiel. Diese hochwertige Leckerei wird ausschließlich auf der philippinischen Insel Negros hergestellt."

Auch das ist René Hübner: Vor einigen Jahren, ein Boxkampf in Berlin war gewonnen, geriet er nachts in Köpenick in eine Messerstecherei. Zwei Kerle attackierten sich mit scharfer Klinge. Er mischte sich ein, wollte schlichten. Am Ende wurde er mit fünf Stichen lebensgefährlich verletzt.

Sehen wir René Hübner noch einmal im Boxring? ,,Ja", sagt der Typ, der nach langen Gesprächen dem Gast immer sympathischer wird, ,,ich will die Deutschen Meisterschaften nach Eisenhüttenstadt holen. Open Air. Auf der Freilichtbühne." Ob er es noch für diesen Sommer schafft? Schulterzucken. „Aber spätestens 2024. Versprochen."

Von Jörg Kotterba