Noch mehr Bauprojekte in der Schublade

Unterwegs in den Gerstenberger Höfen

Noch mehr Bauprojekte in der Schublade

Maria Josephine Lucas und ihr Sohn Ferdinand Lucas investieren in über 100-jährigen Familienbesitz

Im ältesten, betriebsbereiten Fahrstuhl Frankfurts stehen Maria Lucas, Enkelin des Gründers der Gerstenberger Möbelmanufaktur und heutigen Gerstenberger Höfe, und Haushandwerker Michael Schröter. Ein Schild im Aufzug weist auf das Einbaujahr 1940 hin. Foto: Anna Pröschild

28.04.2021

Zu den spannendsten Bauten der Oderstadt zählen zweifelsohne die Gerstenberger Höfe (GH) in der Ziegelstraße. Das circa 20 000 Quadratmeter große Areal, in unmittelbarer Nähe zur Oder, bereichert architektonisch das Stadtbild und bietet kulturelle und wirtschaftliche Anreize. Mit etwas Glück kann man bei einem Spaziergang über das Gelände auch Maria Josephine Lucas, Enkelin des Gründers der GH, antreffen. Sie ist bereits Rentnerin und hat die GH schon auf ihren Sohn Ferdinand Nikolaus Lucas übertragen. Die komplette Verwaltung des Geländes liegt noch in ihren Händen.Die geschichtsträchtige Anlage hat ihren Anfang im Jahr 1895. Der Buchhalter Moritz Gerstenberger übernahm von der Witwe Mantz die Tischlerei Mantz mit 18 Mitarbeitern. Durch Zukäufe von Grundstücken errichtete er eine Möbelfabrik und beschäftigte bis zu 1400 Mitarbeiter. Zu dieser Zeit die größte Möbelfabrik in Deutschland. Seine Möbel wurden in ganz Europa verkauft. Bilder aus dieser Zeit hängen heute im Gebäude der Hausverwaltung. Auf einer Aufnahme ist der Gründer im Gespräch mit Arbeitern vertieft. „Meinen Großvater habe ich leider nie kennengelernt“, sagt die Enkelin Maria Josephine Lucas. Als der Gründer im Ersten Weltkrieg gefallen ist, musste sein Sohn Fritz Gerstenberger, Vater von Maria Josephine Lucas, als 17-Jähriger die Firma übernehmen. Er hat die Firma sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zum Laufen gebracht. Als er dafür in der DDR von der Staatssicherheit verhaftet werden sollte, floh die ganze Familie nach West-Berlin. Da noch die Großmutter von Maria Josephine Lucas in Müllrose wohnte, ist sie regelmäßig in ihre alte Heimat gefahren. Nach der Wende hat Maria Josephine Lucas das heruntergekommene Betriebsgelände über die Treuhand wieder in den Familienbesitz zurückbekommen. Sie hat alle Verwandten ausgezahlt und 1993 mit der Renovierung der alten Gebäude begonnen.

Ohne das Engagement der Enkelin des Firmengründers, wäre vermutlich heute eine über 100 Jahre alte Geschichte aus dem Stadtbild verschwunden und modernen Plattenbau gewichen. Zwar werden heute in den GH keine Möbel mehr hergestellt, doch ein attraktiver Arbeitsort sind die Höfe geblieben. Neben einer Autowerkstatt, einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, Büros, einem Bistro sowie einer Fleischerei, einer Kletterhalle, einem Musikladen und Wohnungen gibt es auch ein vielfältiges kulturelles Angebot. Zwei Theater, eine Kulturmanufaktur, Künstlerwerkstätten und einige sehr gute Musiker trifft man auf dem Gelände, einige wohnen sogar dort. Der Holzgestalter Olaf Götze ist begeistert von diesem Standort. Durch die corona-bedingte Auszeit stört er niemanden mit seinen Schleif- und Sägearbeiten. Doch die Pandemie ist auch für die Kulturschaffenden in den GH nicht einfach: „Ich versuche, den Künstlern zu helfen. Über die Kunst- und Kulturschaffenden freue ich mich, besonders, wenn ich Musik von dem außerordentlichen Pianisten Sebastian Strahl höre“, so die passionierte Reiterin und Hobbyfotografin. Viele der Künstler haben ihr nach der Wende tatkräftig zur Seite gestanden.

An die 100 Mietverträge für Wohnungen, Büros, Werkstätten und Kunstschaffenden gibt es derzeit. Die Finanzierung der GH läuft vor allem durch die Mieteinnahmen. „Was an Miete reinkommt, wird wieder in die GH gesteckt“, sagt Lucas. Profit macht sie damit keinen. Zwischenzeitlich war sie auch mal mit den GH pleite. Doch das sei inzwischen Geschichte, auch wenn die derzeitigen Einnahmen eher ein Minusgeschäft sind. Die GH mussten immer ohne Fördermittel auskommen.

Trotz Rentenalter denkt Maria Josephine Lucas nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Zur Zeit läuft die Sanierung eines kleinen verfallenen Wohnhauses. Es soll noch 2021 fertig gestellt werden. „Es besteht großes Interesse für die zwei kleinen Mietwohnungen“, so Lucas. Sie hat kein Architekturstudium aber sich schon als Kind für alte Häuser interessiert. Alle Baupläne sind bei den GH von ihr vorgegeben. Für ein weiteres Bauprojekt liegen die Entwürfe bereits in der Schublade. „Wenn ich noch fit bin, mache ich weiter“, sagt Lucas.
   

MOZ.de Folgen