Jahre lang lagen die Anträge in irgendwelchen Schubladen herum. Ursula Schulze erinnert sich gut daran. Mit ihrem Mann Wilfried hatte sie beschlossen, sich selbständig zu machen und ihren Beruf als Vermessungstechnikerin mit der Ladentheke zu tauschen. Doch erst, als wieder einmal „Wahlen“ ins Haus standen und die Schulzes deutlichen Unmut zeigten, ging es mit der Genehmigung plötzlich sehr schnell. Ebenso flott realisierte das Paar den Geschäftsanbau am Wohnhaus und das Schlachthaus auf dem Hof. „Alles wurde binnen eines dreiviertel Jahres hochgezogen.“ Und immer wurde selbst Hand angelegt.
So ist es geblieben, von den technischen Neuerungen abgesehen, die nach und nach kamen. Statt nur zu Hausschlachtungen zu fahren, zauberte Fleischer Schulze im kleinen Betrieb aus den Rindund Schweinehälften alles, was Herz und Magen begehren. Alles wurde selbst hergestellt. Das war Knochenarbeit, aber die Leute standen Schlange vor der Landfleischerei Schulze in Wiesenau. Eine treue Stammkundschaft wuchs, die inzwischen zwar älter geworden ist, aber immer noch gern vorbeischaut. Die Leute kamen aus den Betrieben, auch aus Eisenhüttenstadt, und kauften oft nicht nur für sich, sondern auch für ihre Kollegen mit ein. Vor allem vor Weihnachten. „Das waren schöne Zeiten.“
Mitte der achtziger Jahre ging Sohn Jörg bei seinem Vater in die Lehre - heute führt er erfolgreich das Familienunternehmen. Ursula Schulze hatte neben der Arbeit am Verkaufstresen längst alles gelernt, was mit Buchhaltung und Rechnungswesen zu tun hat. Für ihre gute Ware hat- ten sie feste Lieferanten: das Fleischkombinat in der Region, später auch in Weißwasser. Diese Geschäftspartnerschaften haben sich gehalten. „Wir passten einfach gut zueinander.“ Das ist für Ursula Schulze überhaupt das Wichtigste: „Die Familie hat zusammengehalten, immer, auch in schwierigen Zeiten.“
Das war zum Beispiel nach der Wende so, als ein Teil der Kundschaft ausblieb, der Druck durch Discounter zunahm und alles besser schien, was aus dem Westen kam. Damals gründeten die Schulzes zusätzlich ihren Partyservice. Inzwischen ist der zu ihrem Standbein geworden. Jedes Buffet können sich die Kunden nach ihrem Gusto zusammenstellen lassen. Ob Geburtstag, Jubiläum, Konfirmation oder Jugendweihe, Hochzeit oder Betriebsfeier - bis zu 150 Personen können versorgt werden. Zeitweise waren es sogar noch mehr. Freilich: Dadurch sind die Schulzes auch am Wochenende auf Achse, manchmal bei zwei Veranstaltungen zwischen Eisenhüttenstadt, Frankfurt und Seelow zugleich.
Einen schweren Schlag mussten die Schulzes 2004 verkraften, als der Fleischermeister Wilfried Schulze, noch jung an Jahren, plötzlich starb. „Wir haben weitergemacht“, sagt Ursula Schulze und holt tief Luft. 2010 übernahm Jörg Schulze den Familienbetrieb. Seine Sache ist das Handwerk. Das Erzählen überlässt er seiner Mutter. Aber für ihre Kunden sind sie gemeinsam da, zusammen mit Martina Waterstrat, die seit Jahrzehnten dazu gehört. Zuletzt war es die Corona-Pandemie, die dem Betrieb zu schaffen machte. Zum Glück blieb die Familie von der Krankheit verschont. Aber an Feiern dachte kaum jemand mehr. Jetzt ändert sich das allmählich wieder. „Wir sind unseren Kunden sehr dankbar, ebenso wie unseren Geschäftspartnern, unserem Steuerberater, allen, die uns in den Jahren zur Seite gestanden haben“, sagt Ursula Schulze. Ans Aufhören denkt sie noch nicht. hmk