„Es war der 1. September 1990. Mein erster Arbeitstag als„redaktioneller Mitarbeiter“ bei der Märkischen Volksstimme. So stand die Tätigkeit jedenfalls in meinem Arbeitsvertrag. Mir war bewusst, dass nach den neuen geltenden Richtlinien sechs Monate Probezeit vor mir lagen.
Doch was sollte passieren: Selbst als ich 1988 aus persönlichen Gründen von Fürstenberg nach Rheinsberg, und damit in einen anderen Kreis wechselte, informierte die Lokalredaktion Gransee die Neuruppiner Kollegen, man solle sich doch um den Volkskorrespondenten (VK) Jürgen Rammelt kümmern. So gab es einen nahtlosen Übergang, in dem ich in Rheinsberg wohnend, weiter als VK aktiv war.
Arbeit hatte ich 1988 bei der Stadt Rheinsberg gefunden. Die Kommune suchte gerade einen Stadtrat für Kultur. Die Aufgabe hatte mir zugesagt, doch dann kam die Wende dazwischen. Außerdem gab es In Rheinsberg noch den Wahlbetrug, der zur Amtsenthebung des Bürgermeisters führte. Das war auch für mich der Anlass, aus der SED, der ich seit 1972 angehörte, auszutreten.
Als es kurz danach darum ging, wer bis zu Neuwahlen als Bürgermeister amtiert, wurde auch ich gefragt. Ich sagte zu und durfte gemeinsam mit dem Runden Tisch von Mai bis Juli 1990 die Stadt Rheinsberg in die neue Zeit führen. Doch damit war mein Engagement bei der Stadt Rheinsberg auch zu Ende. Von Politik hatte ich genug. Als Bürgermeister mich zur Wahl zu stellen, kam nicht in Frage.
Als die Redaktion in Neuruppin erfuhr, dass ich eine neue Beschäftigung suchte, erhielt ich das Angebot, als Redakteur in der Neuruppiner Lokalredaktion zu arbeiten. Es war ein Glücksfall: So konnte ich mein Hobby zum Beruf machen eine Entscheidung, die mein weiteres Leben prägen und begleiten sollte. Als Mitglied und Reporter der Neuruppiner Lokalredaktion durfte ich künftig aus Rheinsberg und dem Umfeld berichten. Mir war bewusst, dass dies wegen der Unabhängigkeit und möglicher Verflechtungen im Journalismus nicht gerade üblich ist. Journalist im eigenen Revier zu sein, hat Vorteile, aber es gibt auch Fußangeln. Besonders wegen der persönlichen Kontakte galt es, unparteiisch und möglichst neutral über alles was im Umfeld“ passiert, zu berichten.
Selbst war ich bekannt wie ein bunter Hund. Ich kannte Gott und die Welt. Natürlich war es mir wichtig, diese Vorteile zu nutzen, aber auch die Neutralität zu wahren. Aber es gab noch eine andere Besonderheit: Als stadtbekannter„Schreiberling“ bekam ich als erster das Echo zu hören, wenn die Leser an meinem Beiträgen oder der Zeitung etwas auszusetzen hatten. Ich war eine Art „Klagemauer“ für gefrustete Leser.
Die Arbeit als Redakteur machte mir dennoch großen Spaß, obwohl der Arbeitstag manchmal ziemlich lang war. Die 40-Stunden-Woche stand nur auf dem Papier. Vormittags vor 9 Uhr wollte kaum einer mit einem Journalisten sprechen. Oftmals standen an den Abenden Sitzungen in den Gemeinden oder der Stadt auf dem Terminplan. Berichtet wurde fast über jede Sitzung.
Geschuldet war das dem Mitbewerber, dem Ruppiner Anzeiger. Denn auch diese Kollegen hatten die Aufgabe, jeden Tag ihre Zeitung zu füllen. So konnte man sich keine Nachlässigkeiten leisten. Der täglich Blick in die andere Zeitung gehörte zur Pflicht. Es war schon ärgerlich, wenn der Kollege oder die Kollegin vom Ruppiner Anzeiger die bessere oder aktuellere Geschichte im Blatt hatte.
Rheinsberg war 1990 in aller Munde. Nach der politischen Wende brummte förmlich der Bär. Zu den herausragenden Ereignissen dieser Zeit gehörte die Übergabe des Schlosses an die Preußische Stiftung Schlösser und Gärten und die Eröffnung des Schlossmuseums. Gleichzeitig gründete sich der Kunst- und Kulturverein sowie die Musikakademie, und der Komponist Prof. Siegfried Matthus, der Oberschüler in Rheinsberg war, entwickelte mit Verbündeten die Idee eines „Kammeropernfestivals“. Sogar die Tagesschau berichtete eines Tages aus Rheinsberg.
Vor dem städtischen Eingang zum Schloss standen Fahrzeuge, vollgestopft mit Übertragungstechnik. Es war eine Bühne aufgebaut, auf der Sabine Christiansen und Jan Hofer ihre Texte in die Kamera sprachen. Die TV-Lady und ihr Kollege begaben sich aber auch in die Menge, schrieben Autogramme und ließen sich mit Rheinsberger Bürgern fotografieren. Auch was die Stadtpolitik betraf, war vieles neu. Erstmals gehörten der Stadtverordnetenversammlung Vertreter unterschiedlicher Parteien und Gremien an. Da kam es schon vor, dass unterschiedliche Meinungen auf einander prallten. Die zahlenmäßig stärkste Fraktion war die der SPD, die mit Manfred Richter auch den Bürgermeister stellte. Mit Hans-Norbert Gast, Erich Kuhne sowie Martin Gilde gehörten der Versammlung Rheinsberger an, die in der Wendezeit politisch aktiv waren.
Was die Arbeit als Redakteur betraf, ging es darum, täglich eine aktuelle Zeitung den Lesern zu liefern. Damit das funktioniert, war ein strenges Reglement notwendig. In einer Zeitung gibt es keine weiBen Plätze. So galt es, ausreichend Stoff und Themen zu sammeln und diese entsprechend aufzubereiten. Das passierte meist an den Vormittagen, oder es war noch vom Nachmittag und Abend des Vortages etwas übrig. Zu den öffentlichen Sitzungen entsandten meist beide Tageszeitungen einen Reporter. Am Pressetisch sitzend, machte jeder seinen Job. Hin und wieder half man sich auch gegenseitig, wenn etwas nicht verstanden wurde. Was die Informationen betraf, herrschte ja Gleichstand. Bei Themen, die nicht auf der Tagesordnung standen, war das anders. Da verriet der Kollege nicht, zu welcher Geschichte er gerade recherchiert und Informationen sammelt. Da gab es durchaus Wissen und Termine, von denen der andere nichts erfahren sollte.
13 Uhr war Redaktionskonferenz. Da wurde die aktuelle Ausgabe vom Tag ausgewertet. Es gab Lob und manchmal auch Kritik. Dann kamen die neuesten Themen auf den Tisch und wurde festgelegt, was auf welcher Seite sie platziert werden. Auch wer den Kommentar schreibt und wie noch Lücken gefüllt werden, eine nicht ganz leichte Aufgabe, galt es zu bestimmen, bevor jeder „Schreiber“ wieder in seinen „Kosmos“ verschwand. Ein heiliger Termin war der Redaktionsschluss. In der ersten Zeit gab es noch einen Kurierdienst, der das Zeitungsmaterial (Texte und Fotos) für die nächste Ausgabe in Neuruppin abholte, um sie zur Hauptredaktion und zum Druckhaus des Verlages nach Potsdam bzw. nach Oranienburg zu bringen.
Später erfolgte das per Datenübertragung, wodurch es möglich war, auch noch zu später Stunde Aktualisierungen vorzunehmen. Es war eine spannende Zeit, die auch personelle Veränderungen zur Folge hatte. Wie alle früheren SED-Parteizeitungen wurde die „Märkische Volksstimme“ von der Treuhand verkauft. Neuer Eigentümer wurde die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ).
Es gab eine neue Geschäftsleitung und auch neue Führungsstrukturen. Allein in den ersten zehn Jahren gab es fünf unterschiedliche Redaktionsleiter. Aber auch neue Kollegen und Volontäre gehörten zum Redaktionsteam. Als Reporter begegnen einem viele interessante Menschen. Einer war Jürgen Graf, ein Radio-Journalist. Er hatte beim Sender Rias (Radio im amerikanischen Sektor) sich einen Namen gemacht und war auch als „Mister Rias“ bekannt. Gemeinsam mit Michael Stellmacher, der als Sportchef bei der Bild-Zeitung gearbeitet hatte, mit Christian Carstens, Werner Wimmer, Heinz Götsch und weiteren Rheinsberger Unternehmern gründeten sie den WiR-Verein. Graf engagierte sich besonders für die Stadt und sammelte Geld für Projekte in Rheinsberg.
Dank des Geldes von Jürgen Graf und seiner Freunde konnten so Projekte verwirklicht werden, die die Stadt nicht allein hätte finanzieren können. So wurde der historische Wartturm restauriert, das Kronprinzen-Denkmal wieder aufgestellt und der Marktplatz erhielt einen Trinkbrunnen. Aber auch Stadtmöbel, wie Parkbänke, und Boote für den Ruderverein spendete Jürgen Graf der Stadt. Jürgen Graf und Christian Carstens unterstützten ebenso die Rheinsberger Vereine.
Davon profitierten besonders die Schützengilde, der Bahnhofsverein und die Sportvereine. Während die Schützen die ehemalige Kaufhalle in Rhinhöhe zu ihrem Domizil ausbauen konnten, erwarb die Arbeitsgemeinschaft Rheinsberger Bahnhof den ehemaligen Lokschuppen und Teile des Bahnhofes. Die Themen, über die wir Reporter berichten durften, nahmen kein Ende. Die Stadt Rheinsberg und das Umland boten genügend Stoff, um täglich die Zeitung zu füllen.“
Jürgen Rammelt